„Kalaschnikow gefällig? Am Moskauer Flughafen Scheremetjewo gibt es jetzt ganz spezielle Souvenirs zu kaufen: Der Waffenkonzern Kalaschnikow bietet eine Attrappe seines bekannten Sturmgewehrs an – und das ist noch längst nicht alles.“(1) Derweil kommt langsam Licht ins Dunkel des „verbrecherischen Regimes“(2) in Moskau. „Das Ausmaß der Verbindung der russischen Staatsspitze zur organisierten Kriminalität wurde lange Zeit verdrängt. Jetzt bringt ein Film eine Diskussion über die Verschmelzung zwischen den beiden Sphären ins Rollen.“(3) Das FBI untersucht nach CNN-Informationen gerade „einen russischen Hackerangriff auf Reporter der ‚New York Times’ und anderer US-Medienunternehmen.“(4) Und zur Demokratie sind die Russen sowieso nicht fähig, denn fast ein Viertel von ihnen würde ihre Stimme verkaufen. „In vier Wochen wählen die Russen ein neues Parlament, an eine faire Abstimmung glaubt nicht einmal die Hälfte von ihnen. Ein Teil wäre zu einem Wahlbetrug bereit.“(5)
Mit diesem kurzen Querschnitt durch die aktuelle deutsche Presselandschaft haben wir die gängigen Klischees über Russland ziemlich schnell abgehandelt. Das Bild, das von Russland in Medien gegenwärtig gezeichnet wird, ist fast durchweg dunkel, bedrohlich und aggressiv, zumindest undurchsichtig. Russland = Putin, Korruption, Spionage, Kriegstreiberei, Wodka. Dazu kommen momentan noch Krim-Annexion, Ukraine-Krise und Syrien. Düster-faszinierende „Highlights“ sind Geschichten wie die über den ehemaligen FSB-Offizier Alexander Litwinenko, der 2006 in London mit einer hohen Dosis des extrem seltenen und extrem teuren radioaktiven Stoffes Polonium-210 vergiftet wurde, weil er seit 2000 als politischer Flüchtling in Großbritannien lebte und britische sowie spanische Geheimdienste bei ihren Ermittlungen über organisierte Kriminalität in Russland unterstützte.
Bei aller berechtigter Kritik ist es doch erschreckend, wie einseitig, oberflächlich und geschichtsvergessen über dieses Land berichtet wird. Differenzierung Fehlanzeige. Erst recht der Versuch, das Land von innen heraus, mit einem Verständnis für dessen Geschichte und Entwicklung der letzten Jahre und nicht nur mit unserem westlichen Blick zu bewerten. Kaum zu finden sind Berichte über Kultur oder das „normale“ Leben. Wenn doch, dann meist im Duktus der wilden neunziger Jahre. Dabei ist die deutsche Forschung zur aktuellen Dynamik in Osteuropa seit 1989 rückläufig, es fehlt an gegenwartsbezogenem Wissen über Gesellschaftsstruktur, Wirtschaft, Politik oder russische Sicherheitsinteressen. Auch die großen deutschen Medien haben ihr Korrespondenten-Netzwerk in Osteuropa und Russland seit dem Zerfall der Sowjetunion stark ausgedünnt. Kaum zu lesen ist etwa, dass sich die Krim seit 1783, seit Katharina der Großen, im russischen Besitz befindet und 1954 von Chruschtschow in einer politischen Laune an die Ukraine abgetreten wurde. Da alles Sowjetunion war, hatte das damals keine großen Auswirkungen. Auch hat die EU mit ihrem Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, das das Land zerreißt, die angespannte Situation nicht beruhigt, sondern weiter eskaliert, während die NATO in Bezug auf europäische Sicherheitsfragen Russland im Wesentlichen vor Verhandlungsergebnisse stellt und kaum ein Mitspracherecht einräumt. Es ist daher schlicht falsch, Russland als alleinigen Aggressor darzustellen.
Durch das Zusammenwirken von Wirtschaftssanktionen, der Abwertung des Rubels und dem niedrigen Ölpreis befindet sich Russland, dessen Wirtschaftskraft zu einem großen Teil immer noch auf Einnahmen aus Rohstoffen basiert, aktuell in einer schwierigen Situation. Doch diese Sanktionspolitik der EU zeugt von einem kompletten Unverständnis für die russische Mentalität. „Sie denken, wenn sie uns isolieren, zerstören sie uns. Das Gegenteil ist der Fall. Gorbatschow und Jelzin haben uns zerstört, weil sie das Land für alle geöffnet haben. Isolation hingegen stärkt unseren inneren Zusammenhalt.“(6) Um so mehr sind Intellektuelle, die Kulturszene in der Verantwortung, die Stimmung nicht weiter anzuheizen, sondern zu deeskalieren, zu vermitteln, gegenseitiges Vertrauen zu fördern. Und um so unverständlicher ist es, dass etwa in der Berliner Akademie der Künste eine Ausstellung unter dem Titel „Demo:polis“ stattfindet, die sich mit dem öffentlichen Raum beschäftigt und den Transformationsprozess, der diesbezüglich in Moskau in den letzten Jahren stattgefunden hat, vollkommen ignoriert.
Jenseits des sehr eingeschränkten, einzig aus westlicher Perspektive geführten Architekturdiskurses soll mit dieser Bauwelt das Gesamtbild ein bisschen mehr differenziert, nicht nur von West nach Ost geblickt, sondern die Perspektive gelegentlich mal umgedreht werden. Da wir uns konzentrieren mussten, liegt der Fokus auf der jungen Architekturszene in Moskau. Auch wenn davon hierzulande (noch) nicht viel bekannt ist, gibt es sie natürlich: Young, hot and Russian!